Messianische Juden

Das Selbstverständnis messianischer Juden

 

  • Wer ist messianischer Jude?

Die Bezeichnung „messianische Juden“ hat sich unter Juden, die an Jesus Christus glauben, weitgehend durchgesetzt. Damit soll die bleibende Zugehörigkeit zum jüdischen Volk betont werden. Nach ihrem Selbstverständnis wechseln Juden, die an Jesus glauben, nicht ihre Religion, sondern finden im Messias Jesus das Heil, wie es im Tenach (Altes Testament) bezeugt wird. Bis in die Mitte des 20. Jh. hinein sprach man v.a. von „Judenchristen“, Dies ist aber unpassend, weil die bleibende Zugehörigkeit zum jüdischen Volk außer Acht bleibt.

  • Was ist der Unterschied zwischen messianischen Juden und Christen? Sind Juden, die an Jesus glauben nicht automatisch Christen?

Im Neuen Testament gibt es eine Gegenüberstellung von Juden und Christen nicht. Vielmehr waren es die Heidenvölker, die dem jüdischen Volk gegenüberstanden. Zur Gemeinde gehörten alle, die an Jesus glaubten, sowohl aus dem jüdischen Volk als auch aus den Völkern. Ab dem 4. Jh. wurde im römischen Staat das Christentum als Staatsreligion eingeführt. Von jetzt an galt: Wenn Juden getauft wurden, traten sie zum Christentum über. Entweder war man Christ oder Jude. In dieser Zeit haben Juden über viele Jahrhunderte Christen als Gegner und Verfolger erlebt. Erst im 18. Jh. begann sich das Verständnis zu verändern. Juden, die an Jesus glaubten, verstanden sich weiterhin als Juden und nicht in erster Linie als Teil einer bestimmten christlichen Konfession.

  • Wie viele messianische Juden gibt es in Deutschland?

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es ca. 30.000 „Judenchristen“ in Kirchen, Gemeinden und Freikirchen. Mehr als 200 Pastoren jüdischer Herkunft waren in dieser Zeit aktiv. Die „Jüdische Evangelische Allianz“ zählte 20 Allianzbezirke. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das judenchristliche Leben völlig zerstört. Fast alle Juden, die an Jesus glaubten, wurden Opfer der Schoa.

Es ist ein Wunder unserer Gegenwart, dass sich in Deutschland die Zahl der messianischen Juden seit den 90er Jahren vervielfacht hat. Sie kam durch die Einwanderung von Juden aus der ehemaligen UDSSR Anfang der 90er Jahren und der Einwanderung von jüdischen Israelis in den letzten 20 Jahren zustande. Gegenwärtig liegt sie im unteren vierstelligen Bereich. Die meisten sind in russisch- oder hebräisch sprechenden Kreisen und Gruppen zuhause. Ein Teil ist auch in deutschsprachige Gemeinden integriert. Durch den aufkommenden Antisemitismus sind sie allerdings erneut bedroht.  

  • Vor welchen Herausforderungen stehen messianische Juden?

Für viele messianische Juden in Deutschland ist die Situation nicht einfach. Von ihrer Religion, Kultur oder Herkunft her gesehen sind sie jüdisch und fühlen sich deshalb in traditionellen Kirchen oder Gemeinden manchmal unverstanden. Besonders dann, wenn sie Antiisraelismus antreffen oder andere Formen des christlichen Antisemitismus erleben.

In Synagogen dagegen finden sie viel Vertrautes, auch wenn der Glaube an Jesus, den Messias, dort keinen Platz hat. Ablehnung erfahren sie v.a. dann, wenn orthodoxe Juden sie als nicht weiter dem jüdischen Volk zugehörig betrachten. Daher sind sie in der Synagoge oftmals nicht willkommen.  

Kurz gefasst: Immer wieder fühlen sich messianische Juden in Kirchen/Gemeinden und Synagogen fremd und unerwünscht. Deshalb ist es vielen messianischen Juden ein Anliegen vorhandene Missverständnisse im Dialog anzusprechen und ggf. auch zu beseitigen.  

  • Was haben messianische Juden mit anderen Juden oder Christen gemeinsam und wo unterscheiden sie sich?

Messianische Juden sind genauso jüdisch wie andere jüdische Menschen auch. Der große Unterschied besteht darin, dass sie an Jesus als Messias glauben und dieser Glaube prägt ihr Leben stark. Dadurch sind sie mit Christen aus den Nationen vereint und erleben mit ihnen geistliche Gemeinschaft. Die jüdische Identität ist bei den meisten messianischen Juden sehr ausgeprägt und sie fühlen sich mit ihrem Volk stark verbunden. Ihr jüdischer Lebensstil ist allerdings nicht einheitlich, so wie das auch im gesamten Judentum nicht der Fall ist. Einige halten sich an die biblischen und überlieferten rabbinischen Vorschriften, wie z.B. die Speisegebote, den Sabbat oder feiern die jüdischen Feste, andere nicht. Einige sind äußerlich an ihrer Bekleidung als jüdische Menschen erkennbar, andere nicht. Christen sollten die verschiedenen Traditionen und gelebte Identität von messianischen Juden respektieren.

  • Halten messianische Juden den Sabbat oder den Sonntag?

In der Mehrheit feiern messianische Juden den Sabbat und die biblischen Feste. Dazu gehört v.a. die Feier des Gottesdienstes. Die Haltung des Sabbats wird aber ganz unterschiedlich bewertet. Die meisten messianischen Juden begehen den Sabbat ähnlich wie Christen den Sonntag. In Israel ist dies umso einfacher, da der offizielle Ruhetag der Sabbat ist. Der Sonntag ist dort ein ganz normaler Arbeitstag. Dadurch, dass in Deutschland der Samstag arbeitsfrei ist, können messianische Juden diesen Tag als Sabbat frei gestalten. Einige messianische Juden besuchen am Sonntag auch christliche Gottesdienste.

  • Welche Feste feiern messianische Juden?

Hier ist es unmöglich zu pauschalisieren. Die einen feiern alle jüdische Feste, inkl. der rabbinischen Fasten- und Festtage, andere feiern nur die biblischen Feste (v.a. das Passahfest, Wochenfest (Schawuot) und Laubhüttenfest (Sukkot)), sowie den Sabbat. Die einen feiern keines der jüdischen Feste. Andere wieder typisch christliche Feste, wie z.B. Weihnachten. Die einen halten sich sehr streng an die rabbinischen Vorschriften. Andere feiern individuell, wie sie es für richtig halten, so wie es im Judentum allgemein auch praktiziert wird.

  • Halten sich messianische Juden an die Speisegebote aus den fünf Büchern Mose (Thora)?

Auch hier gibt keine einheitliche Praxis. Die einen halten sich an die Speisegebote, so wie sie in der Bibel beschrieben sind. Andere beachten die strengeren rabbinischen Vorschriften. Für die Dritten spielen die Speisegebote keine Rolle. Sie haben z.B. auch mit dem Verzehr von Schweinefleisch kein Problem. Jeder hat seine eigenen Gründe für sein Verhalten. Einige messianische Juden wollen sich durch das Einhalten der Speisegebote mit ihrem Volk identifizieren oder tun es aus Tradition und essen deshalb „koscher“, während andere davon überzeugt sind, dass für sie die Speisegebote keine Gültigkeit mehr haben.

  • Praktizieren messianische Juden die Beschneidung?

Auch hier gibt es unterschiedliche Überzeugungen. Manche messianische Juden sind der Meinung, dass sie ihre Söhne als Nachfolger Abrahams beschneiden sollen oder müssen oder sie tun es aus kulturellen Gründen, um sich mit ihrem Volk zu identifizieren. Andere glauben, dass diese Vorschrift für sie und ihre Söhne nicht mehr unbedingt nötig ist. Innerhalb des Judentums gibt es auch hier eine große Bandbreite an Einstellungen.  

  • Was glauben messianische Juden in Bezug auf die Stellung von Jesus, die Dreieinigkeitslehre und das Abendmahl?

Messianische Juden legen Wert auf das Bekenntnis: Jeschua ha-Maschiach = Jesus der Messias bzw. Christus. Dieses Grundbekenntnis wird von allen geteilt. Die Frage nach der Trinität betrachten viele als eine philosophische Frage, die verstärkt in der Auseinandersetzung mit der abendländischen Philosophie entstanden ist. Dennoch hält die Mehrheit an der Lehre von der Dreieinigkeit (Trinität) fest.  

Das Abendmahl wird auf dem Hintergrund des Passahfestes gefeiert. So wie Gott Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat, so befreit Gott aus der Knechtschaft der Sünde. So wie damals ein Lamm starb, damit alle Israeliten gerettet wurden, so starb Jesus als das wahre Passalamm. Beim Passahfest wird an das Heilshandeln Gottes in der Geschichte erinnert. Gleichzeitig hat das Fest auch Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft. Beim Abendmahl wird an den Tod von Jesus erinnert. Dieser Tod hat Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft. Die Gemeinde geht dem großen Hochzeitsmahl entgegen.

Messianische Juden – warum Christen an ihrer Seite stehen sollen bzw. müssen

 

  • Warum sind Christen bei der Verkündigung des Evangeliums unter Juden auf messianische Juden angewiesen?

Jeder Nachfolger Jesu ist dazu berufen, das Evangelium an andere weiterzugeben. Im Neuen Testament gibt es keine Beschränkungen, wer wem etwas über Jesus erzählen darf. Deshalb sollen Christen in Deutschland das Evangelium auch jüdischen Menschen mitteilen. Dabei können ihnen messianische Juden eine Hilfe sein, das Evangelium auf eine liebevolle, verständnisvolle und passende Art und Weise weiterzugeben. Gerade die Hervorhebung des jüdischen Kontextes des Neuen Testamentes und der Person Jesu, der als Jude der verheißene Messias ist, macht es den jüdischen Menschen einfacher die Botschaft zu verstehen. Durch ihre persönlichen Erfahrungen können messianische Juden am besten nachvollziehen, was es heißt, wenn man als jüdische Person an Jesus glauben möchte. Messianische Juden brauchen aber auch die Hilfe von Christen, um das Evangelium dem jüdischen Volk mitzuteilen, weil sie nur eine kleine Gruppe sind.  

  • Warum ist die Gemeinde von Jesus Christus unvollständig ohne messianische Juden?

Jesus selbst sagt, dass er zuerst für das jüdische Volk gekommen ist (Mt 10,4f). Deshalb waren zunächst die ersten Nachfolger ausschließlich Juden. Zu den ersten Gemeinden gehörten Juden und solche, die zum Judentum übergetreten waren (Proselyten). Sie orientierten sich selbstverständlich an den jüdischen Gebräuchen und Gesetzen Israels.

Doch Gottes Geist führte die erste Gemeinde weiter. Sie entdeckten, dass auch  nichtjüdische Gläubige zur Gemeinde gehören, ohne dass sie  die jüdische Kultur und Sitte annehmen müssen (Apg 10,1ff). Fortan ist es das Kennzeichen der Gemeinde, dass jüdische und nichtjüdische Menschen durch den Messias Jesus geistlich eine Einheit bilden und als Brüder und Schwestern zusammengehören (vgl. Eph 2,11ff). Nur mit den messianischen Glaubensgeschwistern ist diese Einheit vollkommen, ohne sie wäre der Leib Christi unvollständig. Diese Einheit von Juden und den Glaubenden aus den Völkern entspricht dem Willen Gottes und wurde bereits bei den Propheten angekündigt (vgl. Jes 56,6-9; Sach 8,20-23; Sach 14,16).

Es entspricht also dem Willen Gottes, dass Juden und Nichtjuden gemeinsam in der Nachfolge des Messias stehen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass von Anfang an eine sehr große Anzahl von Juden im ganzen Römischen Reich zum Glauben an Jesus fanden (Apg 12,24; 13,43; 14,1; 17,11-12; 21,20).  

  • Was lernen Christen von messianischen Juden?

Oftmals fehlen in der traditionellen christlichen Auslegung der Bibel die Bezüge zum jüdischen Volk. Messianische Juden helfen uns, die Bibel aus der jüdischen Perspektive zu lesen, um damit den jüdischen Messias Jeschua und seinen Kontext besser zu verstehen.

  • Wo haben sich Christen an messianischen Juden schuldig gemacht?

Beim sogenannten ersten Apostelkonzil (Apg 15,1ff) wurde beschlossen, dass nichtjüdische Menschen, die zum Glauben gefunden haben, nicht zum Judentum übertreten und weitere jüdische Gebräuche und Gesetze halten müssen. Als sich das Christentum immer weiter im griechisch-römischen Kulturkreis ausbreitete und die Nichtjuden in der Gemeinde Jesus die Mehrheit bildeten, wurde es aber den Juden, die an Jesus glaubten, verboten, ihre jüdische Kultur und Tradition zu praktizieren. Sie mussten zum Christentum konvertieren und ihr Jüdischsein ablegen bzw. verleugnen. Seit den sogenannten Kirchenvätern lehrte die Kirche, dass das „wahre“ Volk Gottes nun die Kirche und nicht mehr das Volk Israel sei. Jüdische Menschen wurden als „Gottes-bzw. Christusmörder“ bezeichnet und in den folgenden Jahrhunderten oft verfolgt und ermordet. Diese falschen Lehren ziehen sich wie ein roter Faden durch die Kirchengeschichte und waren ein Nährboden für einen  ununterbrochenen christlichen Antisemitismus in allen Epochen und Gesellschaften. Deshalb waren die Kirchen und Gemeinden zur Zeit des Dritten Reiches in ihrem Widerspruch zu dem Unrecht und der Judenverfolgung zu schwach und nicht entschieden genug und haben damit das judenfeindliche Regime aufgrund ihrer antijüdischen theologischen Sicht sogar noch unterstützt.

      Messianische Juden – Möglichkeiten der Begegnung

  • Welche Organisationen in Deutschland fördern die Begegnung zwischen messianischen Juden und Christen in Deutschland?

Hier sind vor allem zu nennen: Der Evangeliumsdienst für Israel (EDI) und das von ihm initiierte Theologische Forum: Messianische Juden und Christen im Gespräch; Die Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel (AMZI); Beit Sar Schalom; Juden für Jesus; TJC II; Die Internationale Christliche Botschaft Israel (ICEJ); Christliches Gästezentrum Schönblick.

  • Was sollte bei einem Besuch in einer messianischen Gemeinde beachtet werden?

Besucher müssen sich darauf einstellen, dass Gottesdienste mehrsprachig veranstaltet werden. So kann während eines Gottesdienstes zwischen russisch, ukrainisch, hebräisch und deutsch gewechselt werden. Oftmals haben messianische Gemeinden ihre eigene messianisch, jüdische Liturgie, die für Christen befremdlich wirken kann, wie z.B. das Umhertragen der Thorarolle. Da manche messianische Juden nur bestimmte Speisen essen, ist es besser vorerst nichts Essbares mitzubringen. In der Regel tragen die Männer eine Kopfbedeckung. Es ist allerdings kein Muss.

  • Welchen Nutzen hat eine Gemeinde, wenn sie einen messianischen Juden als Referenten einlädt?

Zum einen können messianische Juden helfen, die Texte der Bibel von der jüdischen Perspektive her besser und neu zu verstehen, da den christlichen Gemeinden der jüdische Hintergrund der Bibel oftmals nicht mehr so vertraut ist. Dadurch bekommen Christen ein tieferes Verständnis der jüdischen Traditionen und deren Überlieferungen. Außerdem wird sichtbar, dass Jesus Christus jüdische und nichtjüdische Menschen zu geistlichen Geschwistern macht, die gemeinsam Gott dienen, jeder in seiner Berufung.  

  • Welche messianischen Juden können als Referenten eingeladen werden?

Einige Namen aus dem Umfeld der Evangelischen Allianz: Jurek Schulz (AMZI); Vladimir Pikmann (Beit Sar Shalom), Aaron Lewin (Juden für Jesus), Igor Swiderski, Wanja Karchewski (EDI); Anatoli Uschomirski (EDI); Ivan Fröhlich (Lobpreis).

  • Welche weiterführenden Webseiten gibt es über messianische Juden?

Eine Auswahl deutscher Web-Seiten:

https://www.bibelentdeckungen.de

https://www.edi-online.de

https://www.beitsarshalom.org

www.amzi.org

www.mstudien.de

www.judenfuerjesus.de

Eine Auswahl englisch Web-Seiten:

https://www.yachad-beyeshua.org

https://www.jenrosner.com

Good News for Israel

The Messianic Community   

Out of Zion Messianic Jewish Ministry Located in Israel

Adat HaTikvat Tzion                 

MessianicDirectory.com      
Menorah Ministries

Mayim Hayim

Word of Messiah Ministries

Standingwithisrael.org         

House of Joseph Ministries

The Torat Chayim Messianic: Torah studies resourses 

Inner peace, kodesh, messianic teaching, derechhakodesh    

Christian web-site of Sharman Castillo 

Heneliz“s Christian Corner     
Rosh Hashanah Cards, Rosh Hashanah eCards, Rosh Hashanah Greetings      

Jews for Jesus

  • Welche weiterführende Literatur gibt es über messianische Juden?

Hanna Rucks, Messianische Juden. Geschichte und Theologie der Bewegung in Israel, Neukirchen 2014.

Marie-Sophie Lobkowicz (HG.), Geistgewirkt geistbewegt. Die charismatische und die messianische Bewegung, Hamburg 2010.

Ulrich Laepple, Messianische Juden – eine Provokation, Neukirchen 2016.

Tuvya Zaretsky, Das Evangelium – auch für Juden. Impulse aus der messianischen Bewegung, Basel / Gießen 2006, 41.

Messianische Juden in Deutschland. Eine historische und religionssoziologische Untersuchung, Dortmunder Beiträge zu Theologie und Religionspädagogik, Münster 2008.