Der Neue Bund

Neu ist besser! Was für ein Auto oder einen Computer gilt, wird oft auch beim „Neuen Testament“ so gesehen. Mit der Bezeichnung „alt“ und „neu“ verbindet man eine Abstufung und Wertung. Es hat den Anschein, als habe das Neue Testament das Alte Testament abgelöst.

Jemand sagte mir einmal in einer Gemeinde: „Ich lese das Alte Testament nicht, denn das Alte Testament war für Israel bestimmt.“ Leider besteht diese Sichtweise schon seit den Tagen der Urgemeinde und hat, was die Beziehung zum jüdischen Volk angeht, viel Schaden angerichtet.

 

Das Alte Testament ist nicht alt

In der Bibel wird der erste Teil lediglich in 2. Korinther 3,14 als „Altes Testament“ bezeichnet. Der Begriff „Neues Testament“ jedoch kommt in der Bibel nicht vor. Dafür ist die Rede von einem „Neuen Bund“. Ein Vergleich mit Verlobung (AT) und Ehe (NT) kann das Verhältnis dieser beiden Bibelteile zueinander verdeutlichen. Genauso wie die Verlobungszeit der Ehe, einer noch engeren, tieferen und verbindlicheren Beziehung, vorausgeht, geht das Alte Testament dem Neuen voraus. Aber ist die Verlobungszeit, die so wichtige Vorbereitungszeit für die Ehe, deshalb minderwertiger? Wohl kaum.

 

Vollkommen neu

So verheißt auch der Prophet Jeremia im 6. Jahrhundert vor Christus einen Neuen Bund, den Gott mit Israel schließen will (Jer. 31,31-33): „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, … das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.“

Es geht dabei um ein noch mächtigeres Abkommen als den Sinai-Bund, ein noch wirkungsvolleres Handeln Gottes in der Zukunft. Es wird etwas eintreten, das in seiner Art vollkommen neu ist, das es bisher so noch nie gegeben hat.

Das ist mit „neu“ gemeint. Sowohl das hebräische „chadasch“ als auch das griechische Wort „kainos“ machen deutlich: In der Zukunft wird das, was vorausgegangen ist, nicht aufgehoben, sondern es wird durch einen qualitativ besseren Weg zur Vollendung gebracht.

 

Endgültige Klärung der Schuldfrage

Im Kontext von Jeremia 31,31-34 ist die Rede von der Vergebung der Schuld. Schuld wiederum hindert die Gotteserkenntnis, sagt Jeremia in Vers 34. Denn alle sollen durch die Vergebung von Schuld den Herrn erkennen. Das bedeutet, das entscheidend Neue im „Neuen Bund“ ist die endgültige Klärung der Schuldfrage und die Vergebung Gottes für den Menschen trotz seiner Schuld.

Dies wird deutlich in den Worten des Messias. Beim letzten Mahl mit seinen Jüngern sagte Jesus beim dritten der vier Kelche der Sederfeier: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird!“ (Lk. 22,20). Durch das Blut Jesu wird die Schuld eines Menschen vergeben (Eph. 1,7; Kol. 1,14). Dieser dritte Kelch der Sederfeier ist der Kelch der Erlösung. So ist das Abendmahl ein Zeichen für den Neuen Bund, den Gott mit seinen Jüngern geschlossen hat.

Dieses alles revolutionierende Neue bedeutet aber keine Abwertung des Vorangegangenen (Gal. 3,15-17).

 

Die Tora im Herzen

Der Neue Bund besteht darin, dass Gott Israel seine Tora ins Herz geben will (Jer. 31,33). Mit der Tora ist nicht „Gesetz“ im juristischen Sinn gemeint, sondern das umfassendere Verständnis von „Weisung“. Der Vers bedeutet also: Ich gebe ihnen meine Wegweisung ins Herz.

Bisher hatte Gott durch Lehrer und Propheten zu seinem Volk gesprochen, nun will er die Wegweisung direkt in ihr Herz geben. Der Inhalt dieser Weisung jedoch, die Tora, bleibt bestehen und wird nicht aufgehoben. Gott wählt im Neuen Bund allerdings einen wirkungsvolleren Weg, um zu den Menschen zu sprechen.

Die Tora dient immer noch dem gleichen Zweck wie zur Zeit Moses, nämlich dazu, dass die Menschen Gott erkennen und sich heiligen (vgl. 3. Mo. 11,44-45).

 

Eine neue Sichtweise

Jesus nahm klar Stellung zur Tora: „Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen“ (Mt. 5,17). Aber er interpretierte das Gesetz anders als die Rabbiner. Auf die Frage, welches das höchste Gebot sei, antwortete er: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt … und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mt. 22,37.39). Für ihn ging es nicht um äußere Formen, sondern um die inneren Motive. Paulus bringt es in Galater 5,14 auf den Punkt: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Der Neue Bund brachte also eine neue Interpretation der Tora mit sich. Als Gottes Sohn war Jesus dazu berechtigt.