Unterwegs auf der Stadtmauer Jerusalems

Wie ein Magnet zieht die Stadtmauer Jerusalems Pilger und Touristen aus der ganzen Welt an. Das Stadtbild wird von ihr geprägt.
Die mächtigen Festungsmauern umringen die Altstadt und umfassen ca. einen Quadratkilometer an Fläche. Süleyman, genannt „der Prächtige“ (1494-1566), erbaute sie zum Teil auf den originalen Umfassungsmauern aus der Zeit Jesu. Nach rund zehnjähriger Bauzeit wurden sie 1542 fertig gestellt. Ihre Länge beträgt 4018 Meter. Die Mauer hat eine durchschnittliche Höhe von zwölf Metern, an manchen Stellen bis zu 20 Metern, und ist etwa drei Meter dick. Die Altstadt Jerusalems liegt auf rund 800 Metern über dem Meeresspiegel, doch auf der Mauer erscheint es einem noch höher.

Einblicke und Ausblicke
Wir steigen am Jaffator auf und erleben einen unvergesslichen, atemberaubenden Blick auf die Altstadt. Beim Spaziergang über die Mauer bekommt man einen Einblick in die unterschiedliche Prägung und Atmosphäre der vier verschiedenen Stadtteile, des armenischen, jüdischen, muslimischen und christlichen. Gegen den Uhrzeigersinn bewegen wir uns zunächst am armenischen Viertel entlang und überqueren das Zionstor. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf den außerhalb der Stadtmauer liegenden Zionsberg und auf die Neustadt Jerusalems. In biblischer Zeit war der Zionsberg die eigentliche Stadt Davids, die alte Jebusiterstadt. Gegenwärtig ist der „Archäologiepark der Stadt Davids“ eines der wichtigsten Forschungsprojekte des Landes und immer einen Besuch wert. Der Eingang liegt am Anfang des palästinensischen Dorfes Silwan, dessen Hauptstraße hinunter zum Siloahteich führt, der lange Zeit Jerusalems wichtigstes Wasserreservoir war. Zur Zeit Jesu holte der Hohepriester zum Laubhüttenfest von dort das Wasser, um es als „Trankopfergabe“ in den Tempel zu bringen.
Dem Mauerverlauf folgend passieren wir als Nächstes das jüdische Viertel. Von hier aus sehen wir hinunter ins Kidrontal und hinüber auf den Ölberg mit seinen verschiedenen Kirchen und Tausenden jüdischen Gräbern. Dieser Ausblick erinnert mich an die Prophetie aus Sacharja 14,4, dass der Messias bei seiner Wiederkunft auf dem Ölberg stehen wird, sowie an die Himmelfahrt Christi vom Ölberg (Apg. 1,1-12).
Wir nähern uns auf der Mauer nun dem Kidronbach mit den in Fels gehauenen vier Grabanlagen. Die erste ist der Überlieferung nach das Grab Absaloms
(2. Sam. 18,18), einer von Davids Söhnen. Direkt dahinter liegt das Grab Josaphats (König von Juda, 1. Könige 22 ff.).
Das Kidrontal wird auch als das „Tal Josaphat“ bezeichnet (Buch Joel). Das dritte Grab ist das des Propheten Sacharja, dann folgt das der Tempelpriesterfamilie Bnei-Chesir (1. Chr. 24,15).
Nun liegt das „Tempelplateau“ vor uns. Die Sicht auf den Felsendom lässt erahnen, warum dieses Bauwerk eines der beliebtesten islamischen Monumente ist. Mit Millionen winziger Mosaiksteinchen wurde die Fassade dieses für die Muslime drittwichtigsten Heiligtums verziert.
Nicht immer ist es möglich, die Ostmauer zu passieren. Einmal hatte ich die Möglichkeit, die Mauer direkt über dem „Tor im Osten“ zu überqueren. Sowohl Juden als auch Christen erwarten, dass der Messias durch dieses Tor in Jerusalem einziehen wird.

Das Osttor
Die meisten Reisegruppen sehen sich dieses „Goldene Tor“ vom gegenüber liegenden Ölberg aus an. In biblischer Zeit war es der Zugang vom Ölberg zum Tempel, den auch Jesus und seine Jünger nutzten. Dieses Tor ist seit den Tagen Süleymans, mit kurzer Unterbrechung, zugemauert. Es wird auch behauptet, er habe dies angeordnet, um den Einzug des Messias zu verhindern. Interessant sind die Aussagen in Hesekiel 44,1-3, dass das Tor im Osten zugemauert bleibt, weil der „Gott Israels“ dort eingezogen ist.
Direkt vor dem Tor liegt ein muslimischer Friedhof, der für Reisegruppen allerdings nur bedingt zugänglich ist. Wenn die Mauer nicht an einem Stück begehbar ist, muss man zwischendurch absteigen, um dann den Rundgang etwas weiter vorne in der Nähe des muslimischen Viertels fortzusetzen. Zum Schluss umrundet man das christliche Viertel.
Hier noch ein Tipp: Ich empfehle kleineren Gruppen oder Individualreisenden, möglichst alle Altstadt-Tore an einem Tag aufzusuchen. Jedes einzelne weist eine ganz eigene Architektur und Besonderheit auf. Jeder ihrer Namen schlägt die Brücke zu historischen Ereignissen. Auf der Reise von Tor zu Tor erwacht die Geschichte Jerusalems zum Leben, und gleichzeitig erhellt sich der Hintergrund für die Probleme der Gegenwart. „Wünscht Jerusalem Heil. Es möge Friede sein innerhalb deiner Mauern“ (Ps.)