Juden – Christen – messianische Juden- brauchen wir einander?

Eine theologische und kirchengeschichtliche Diskussion der Judenmission nach dem Holocaust

Einleitung der Diskussion
Sollen Juden im 21. Jahrhundert das Evangelium hören und missioniert werden?
Sollen Heidenchristen als Missionare unter Juden wirken?
Bedeutet das nicht automatisch, dass die christliche Mission den Juden das Heil abspricht? Ist gerade dass nicht antijüdisch?
Um diese Fragen hatte auf der rheinischen Synode der evangelischen Kirche einen heftigen Streit gegeben.

1. Begründung der Ablehnung der Mission
Am 11. Januar 1980 wurde ein Synodalbeschluss gefasst. Darin heißt es unter anderem unter Punkt IV,6: „ Wir glauben, das Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen Gottes vor der Welt und voreinander sind; darum sind wir überzeugt, dass die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen kann“. 1
Heinz Kremers der diesen Beschluss mit vorbereitet hatte, schreibt mit dem Hinweis auf Rö. 9-11; dass Gott selbst durch den wiederkommenden Christus „ganz Israel“ missionieren wird.

1 Abgedruckt in Kremers & Lubahn 1985, 123-26, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1524

Bis dahin werden nur „einige Juden“ zum Glauben an Jesus Christus kommen. Die Heidenchristen haben zu „schweigen“ und nur das „Zeugnis unseres Lebens“ sollen sie „reden“ lassen. 2

Dagegen hat die Konferenz Bekennender Gemeinschaften mit der Erklärung „Mission an Israel – auch heute“ schon drei Monate später im März 1980 protestiert.
Dort heißt es unter anderem: „Wir rufen unsere Kirchen zu regelmäßiger Fürbitte für Israel auf und zu rechter Verkündigung des Heilsratschlusses Gottes mit Israel.“

Einer grundsätzlichen Ablehnung der Judenmission ist als theologische Verwirrung entgegen zu treten.

Vielmehr laden wir alle Christen dazu ein, jeden Dienst zu unterstützen, der in recht verstandener Mission an jüdischen Menschen geschieht. 3

Eckhard Schnabel fragt zu recht bei dieser kontroversen Diskussion: Wie ist das Verständnis von Mission an Juden zu verstehen? Sollen sie zu Mitgliedern einer bestimmten Kirche oder Konfession werden? 4

Wesentlich erscheint es mir, die kirchengeschichtliche Dimension des Begriffs „Mission“ hervorzuheben. Unabhängig theologischer Erwägungen, ist „Mission als institutionelles Ereignis der Kirche oder bestimmter Gemeinschaften“ geschehen.

2 Heinz Kremers, „Mission an Israel in heilsgeschichtlicher Sicht“, in Kremers & Lubahn 1985, 65-91, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
3 Teil 9 formuliert ein „Wort an die Kirchen, Gemeinden und Missionen: Mission unter Israel auch heute“. Abgedruckt in: Kremers & Lubahn 1985, 126-28, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
4 Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525

Die Resultate hatten immer auch einen assimilierenden Charakter für das jüdische Volk in der Vergangenheit. So schreibt E. Lubahn im Blick auf das Heilsbekenntnis des Petrus vor dem Hohen Rat (Apg 4,12), das bekehrte Juden nicht in eine „heidenchristliche Kirche“ integriert oder „an irgendein Christentum“ assimiliert werden sollen, wohl aber die Heilmöglichkeit wie schon bei Petrus erkennen. 5
Die Konsequenz wäre, dass, wenn Mission geschieht, Juden dann nicht in eine Kirche, sondern in separate Gemeinden integriert werden.

Wiederum ist aber zu sehen, das Petrus, Jacobus und Paulus auch in den Ortsgemeinden jüdische und nichtjüdische Gläubige antrafen (Apg 15; Gal 3,28; 6,15; daher die Forderung in Eph 2).

E. Schnabel analysiert die Konsequenzen einer Ablehnung der Judenmission und kommt zum Ergebnis, das es dann die Ablehnung eines Missionsauftrages der Kirche überhaupt zur Folge hat.
Hier komme ich später noch zur Stellungsnahme der LCJE, die zu den gleichen Ergebnissen kommt. 6

G. Baumbach betont, dass Kirche und Synagoge beide auf dem Weg zur Heilsvollendung seien. In der Evangelischen Monatszeitschrift „Zeichen der Zeit“ betont er des Weiteren: Nach Jesu Kreuz und Auferweckung gibt es prinzipiell keine „hoffnungslosen Fälle“ in der Welt. Das bedeutet das auch der Unglaube der Juden der Christusbotschaft gegenüber nicht verabsolutiert werden darf. Er ist nur vorläufig und muss relativiert werden. Wir müssen aus dem „christlichen Antijudaismus“ lernen.

5 E. Lubahn, Judenmission in heilsgeschichtlicher Sicht, in Kremers & Lubahn 1985, 92-103; zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
6 Hrsg. Tuvya Zaretsky, Das Evangelium – auch für Juden, Brunnen-Verlag Giessen 2006

Das bedeutet, wir dürfen Gottes bedingungslosen Heilswillen nicht auf uns allein eingrenzen. 7

Manch andere auch unter den freikirchlich orientierten Theologen, die oft eine dispensationalistische Eschatologie vertreten, lehnen ebenso jede Form des Zeugnisses gegenüber jüdischen Menschen ab. Hervorzuheben wäre bei diesen Wortführern, das sie sich von jeglichem Zeugnis und jeder Form der Mission distanzieren mit der Begründung: „Das eine Bekehrung aller Juden bei der Wiederkunft Jesu stattfinde“ und deshalb generell die heutige Mission abzulehnen ist. 8

2. Mission unter Juden im Zeugnis des NT´s
Jesus hat unter seinen jüdischen Zeitgenossen gepredigt und geheilt. Seinen Jüngern gab er den Auftrag zum Verkündigungsdienst und sandte sie aus, „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels“ (Mt 10,6). Nach Pessach (Ostern) gab er den 12 den Auftrag, von Jerusalem ausgehend in Judäa, Samarien und bis an das Ende der Erde zu missionieren (Mt 28,19; Apg 1,8).
Lukas schildert uns wie dieser Auftrag umgesetzt wurde. In Apg 2-7 wird die Mission in Jerusalem beschrieben. Dann die Arbeit in Judäa und Samarien (Apg 8-9). Paulus verstand sich als „Apostel der Heiden“ (Rö 11,13), geht aber weiter, immer zuerst zu den Juden (Rö 1,16; Apg 9,15). So waren die ersten Gemeinden jüdische Gemeinden mit dem Messias – Bekenntnis, in Jerusalem, in Damaskus, in Antiochien, etc.
So schildert die Apostelgeschichte nicht den Übergang von der Judenmission auf die Heidenmission, sondern wie die Judenmission in Israel sich auch außerhalb Israel in den anderen Ländern vollzog, bis hin in Rom, wo Paulus in seiner Evangelisationsrede die Juden als Adressaten hat (Apg 28,24).

7 Baumbach 1986, mit Zitat von U.Luz, in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1526
8 Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1526

Es ist oft falsch geschildert, dass nur „einige“ überzeugt wurden, Apg 28,24, sondern es gab neben einer reihenweise positiven Reaktion vieler einzelner Juden, 9 auch Massenbekehrungen. 10

Es blieb, schreibt Eckard Schnabel und zitiert dabei Jacob Jervell, der Entschluss Gottes: das Heil kommt zu dem Gottesvolk, (den Juden)11 .

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© Dieser Text ist Teil des Hintergrundmaterials zum Vortrag des Referenten Jurek Schulz für den 5. Abend, 6.5.21 des CIND e.V. Israel Seminars .

9 Apg 11,19; 13,43; 14,1-2; 16,1; 17,1-4.10-11; 18,4; 19,10; 20,21; 28,24
10 Apg 2,41.47; 4,4; 5,14; 6,1.7; 9,42; 12,24; 13,43; 14,1; 17,11-12; 21,20
11 Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 424