Das Lieder- und Lobpreisbuch Israels

Die 150 Psalmen wurden in einem Zeitraum von rund 1000 Jahren verfasst, von Mose (Ps. 90, ca. 1486 v.  Chr.) bis Esra (ca. 430 v.  Chr.), dem die Septuaginta Psalm 119 zuschreibt. In der Zeit des Zweiten Tempels, zur Zeit Jesu also, war die Sammlung bereits abgeschlossen und allgemein bekannt (vgl. Lk. 20,42; Apg. 1,20). Die Psalmen sind folglich seit mehr als 2000 Jahren Begleiter, Tröster und Kraftquelle für Juden und Christen gewesen.
Durch die Psalmen sehen wir in das Herz des Volkes Israel, denn diese Lieder wurden zu den unterschiedlichsten Anlässen im Tempel und im Gottesdienst gesungen und zeigen die Gefühle der Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Gott. Daher gibt es nicht nur Lob- und Dankpsalmen (z. B. Ps. 8; 19; 29; 118–123), sondern auch Klagepsalmen (z. B. Ps. 3–6; 10–14; 44; 60; 80; 83). Eine besondere Bedeutung haben die messianischen Lobpreislieder, die prophetisch Kommen, Wirken, Tod und Auferstehung des Messias vorhersagen (z. B. Ps. 2; 16; 22; 24; 40; 45; 69; 72; 110; 118).

Fünf Bücher in einem
Das griechische Wort „Psalmoi“, das als „mit einem Musikinstrument begleitete Lieder“ wiedergegeben werden kann, gab dem Buch in der christlichen Bibel den Namen. Die hebräische Bezeichnung „Sefer Tehillim“ ist von den Psalmen 145–150 abgeleitet und bedeutet „Sammlung der Lob- und Preislieder“. Genau genommen handelt es sich bei den 150 Psalmen um eine Sammlung von fünf Liederbüchern, die jeweils mit dem „Amen“ oder einem Lobpreis abschließen.
Das erste Liederbuch (Ps. 1–41) hat das Hauptthema: Der Gerechte wird leben. Es schließt mit den Worten: „Gepriesen sei der Ewige, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen, ja Amen“ (Ps. 41,14).
Im zweiten Liederbuch (Ps. 42–72) geht es um die Erlösung Israels. Es endet mit dem Lobpreis: „Gepriesen sei sein herrlicher Name in Ewigkeit. Seine Herrlichkeit erfülle die ganze Erde. Amen, ja Amen“ (Ps. 72,19).
Im dritten Liederbuch (Ps. 73–89) wird Israels heiliger Gottesdienst zum Hauptthema gemacht. Es schließt wiederum mit der Anbetung Gottes: „Gepriesen sei der Ewige ewiglich. Amen, ja Amen“ (Ps. 89,53).
Das Thema des vierten Liederbuchs (Ps. 90–106) hebt sich von den anderen ab: Israels Schuld und Erneuerung. Gerade wo es um Schuld vor Gott geht, beginnt meist das Weglaufen. Doch Israel lernt durch diese Gebete, dennoch Gott zu vertrauen, in dem Glauben, dass nur er Israel erneuern kann. Daher schließt diese Gebetssammlung neben dem Lobpreis auch mit einem Aufruf an das Volk: „Gepriesen sei der Ewige, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und alles Volk sage: Amen, ja Amen“ (Ps. 106,48).
Das fünfte Liederbuch (Ps. 107–150) betont die Bedeutung des geschriebenen Gotteswortes als das bleibende Wort Gottes. Daher ruft der Psalmist alle auf: „Alles, was Odem hat, preise den Ewigen!“ (Ps. 150,6).
Nebenbei bemerkt: Ich sehe in dieser Einteilung eine auffallende Parallele zu den inhaltlichen Schwerpunkten der fünf Bücher Mose.

Die Verfasser
In 119 Psalmen wird der Verfasser mit Namen genannt. Von den erwähnten Lieddichtern hat König David mit 73 Psalmen am meisten Lieder verfasst. Im Neuen Testament (Apg. 4,25 und Hebr. 4,7) werden ihm auch die Psalmen 2 und 95 zugeschrieben. Da sich die Psalmen 95 bis 100 inhaltlich sehr ähnlich sind, nimmt man an, dass David auch ihr Verfasser ist. Davids Danklied (1. Chr. 16, 8-36) entspricht in weiten Teilen den Psalmen 96 und 105. So dürften sogar 82 Psalmen aus seiner Feder stammen.
König David sorgte nicht nur selbst für die Erweiterung der Liedsammlung, er gab auch anderen, etwa Asaf und seinen Brüdern, den Auftrag, Gott zu preisen (1. Chr. 16,7). Asaf, der die Psalmen 50 und 73 bis 83 verfasste, war einer der Leiter des großen Tempelorchesters. Dieses umfasste 288 Leviten, die zu Sängern ausgebildet worden waren, und 4000 Tempelmusiker, eingeteilt in 24 Dienstgruppen (1. Chr. 23,5; 25,1-31). Das heißt, dass jeder Gottesdienst von einem Orchester von gegen 170 Personen begleitet wurde. Hier wird deutlich, welch große Bedeutung dem Lobpreis zugemessen wurde.
Mich beeindruckt, dass wir durch das Liedgut der Psalmen noch heute Einblick erhalten in die Anbetung Gottes, wie sie im Volk Israel zur Zeit Jesu üblich war. In allen Generationen waren die Psalmen „Seelsorger“ für Juden und Christen. Wer sie sang oder betete, schöpfte Mut und Vertrauen zu Gott, egal wie schwer die Lebenswege auch waren. Den Herrn in dem Wissen zu loben, dass seine Gnade ewig währt, wie es insbesondere in den Psalmen 113 bis 118 und 136 ausgedrückt wird, trägt durch das Leben und hilft im Sterben.