Am Israelsonntag stellen sich vielleicht manche Christen die Frage: Was haben wir denn mit Israel zu tun? Die Geschichte von Naaman kann uns hierauf möglicherweise Antwort geben. (2. Könige 5,1-19)
Als der frühere Premierminister von Israel, Ariel Scharon, am 5. Januar 2006 schwer erkrankte und nicht mehr regierungsfähig war, stockte nicht nur den Israelis der Atem, wie es in einem Bericht hieß, sondern dem gesamten Nahen Osten.
Genauso muss es damals um 840 v. Chr. gewesen sein. Der zweitwichtigste Mann der mächtigsten Nation der damaligen Zeit war plötzlich lebensbedrohlich erkrankt: der aramäische General und Vizekönig Naaman. Sein Name bedeutet „Der Angenehme“, was im krassen Widerspruch zu seinen Taten stand, denn er wurde von seinen Feinden gefürchtet.
Die Situation Israels damals
Das Volk Israel hatte unter den Aramäern bisher schrecklich zu leiden. Zur Zeit Naamans waren blutige Streifzüge durch den Norden Israels nichts Ungewöhnliches, was die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte.
Es war zu dieser Zeit, dass Naaman ein blutjunges jüdisches Mädchen für seine Frau als Sklavin in sein Haus nahm.
1. Wo ist der Gott der Juden?
Die Frage ist berechtigt: Wo ist der Gott der Juden, der in der Vergangenheit so mächtig an Israel gewirkt hat? Wo ist Gott, wenn Hunger und Verfolgung, Deportation und Vernichtung ständige Begleiter Israels sind?
Vielleicht ist das auch Ihre persönliche, ganz geheime Frage inmitten Ihrer eigenen Krankheit und Einsamkeit, die Sie vielleicht getroffen hat: Gott, wo bist Du?
Das Wirken Gottes war zu diesem Zeitpunkt in Israel nur noch punktuell bekannt. Nur noch wenige Menschen vertrauten dem Gott Israels, dem allmächtigen Herrn, der in der Vergangenheit so mächtig am Volk Israel gehandelt hatte.
Elisa, der größte Prophet jener Zeit, wirkte rund 50 Jahre im Auftrag Gottes an Israel. Aber es erging ihm ähnlich wie dem Propheten Jeremia. Erschüttert stellte dieser fest: „Ich habe euch 23 Jahre mit Fleiß gepredigt, aber ihr habt nicht hören wollen“ (Jeremia 25,3).
Die Propheten und Verkündiger wie Elisa und Jeremia wirkten beide in einer Zeit, in der das Desinteresse an dem Gott der Väter Israels Hochkonjunktur feierte.
Der König Israels, Joram, wollte von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs genauso wenig wissen, wie die meisten seiner Zeitgenossen. Gleichzeitig wurde sein Erzfeind, der aramäische König Ben-Hadad, dessen General Naaman so schwer erkrankte, jedoch zunehmend zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit des Landes Israel. Herr, wo bist Du? Doch Moment – vielleicht ist es eher Gott, der hier fragt: Mein Volk, wo bist du?
2. Die Anfänge von Wundern liegen im Geringen
Oft ist die Frage nach Gott mit der persönlichen Not eines Menschen verbunden.
Bisher kannte der aramäische General Naaman nur seinen traditionell überlieferten Gott. Der Gott der Aramäer war damals der Gott des Wetters, des Donners, der Blitze und der Luft. Er wurde Ramman oder auch Rimmon genannt, und ihm zu Ehren wurde ein Tempel erbaut (2. Könige 5,18). Er war ein Gott der Willkür, der Unnahbarkeit, ein Gott, mit dem kein persönlicher Umgang zu haben war, wie ihn der Prophet Elisa mit dem Gott der Bibel hatte.
Doch wie Friedrich Bodelschwingh einmal treffend sagte: Wenn wir krank sind und zu leiden haben, wird der Blick vom Bett aus nach oben gerichtet.
Naaman bekommt aus einer Ecke heraus eine Information, die er als Mann und in seiner Position eigentlich ignorieren müsste. Erst durch die Krankheit wurde er bereit, auf die Stimme der deportierten jüdischen Sklavin seiner Frau zu hören. Wir kennen ihren Namen nicht. Trotzdem wird sie ihm zum lebensrettenden Segen. – Wie viele bis heute Namenlose sind uns zum Segen geworden?
Drei Dinge fallen auf:
- Naaman hört auf eine Frau – trotz herrschendem Patriarchat zu jener Zeit.
- Naaman hört auf eine Sklavin – in der Notsituation wurde plötzlich ein in seinen Augen unbedeutender Mensch wichtig.
- Naaman hört auf eine Jüdin.
Das arme jüdische Mädchen, der Heimat, der Eltern, der eigenen Pläne beraubt, wird für mich zum Symbol der Lebenswege Israels in dieser Welt. Denn das Volk Israel hatte in seiner wechselvollen Geschichte immer wieder Kummer und Not zu bewältigen.
Doch trotz der persönlichen Not als entrechtete Sklavin wird das jüdische Mädchen zum Segen für den Aramäer. So ist auch Israel zum Segen für die Welt geworden, indem der Messias Israels der ganzen Welt Rettung brachte und bringt.
Dadurch erfüllte sich die Bestimmung Gottes an Abraham: „Du und deine Nachkommen sollen ein Segen inmitten auf der Erde sein“ (1. Mose 12,1-3).
Naaman fasst Vertrauen zu der Jüdin und hört auf ihren Rat. Sie sagt zu ihrer Herrin sinngemäß: „Wenn mein Herr doch zum Propheten Israels ginge!“ Hier beginnt das eigentliche Wunder. Naaman macht sich auf den Weg zum Propheten Israels, Elisa, um ihn um Heilung zu bitten. Dabei hat er zwar ganz eigene Vorstellungen, wie dieser die Heilung vorzunehmen hat, entsprechend seinem eigenen Gottesbild, aber immerhin, er geht los.
Mit Pomp und Getöse steht er vor der Tür Elisas, doch der kommt nicht einmal heraus. Stattdessen schickt er einen Boten zu ihm und lässt ihm ausrichten: „Tauche siebenmal im Jordan unter.“
Was für eine Zumutung! Doch auch hier gilt: Dem Demütigen gibt der Herr Gnade.
Das Wasser des Jordan ist braun und schlammig, die Flüsse in Damaskus klar und rein.
Naaman, selbst General mit unermesslichem Reichtum, wird von einem Diener, nicht einmal vom Propheten selbst, empfangen. Empört will er umkehren, doch seine eigenen Leute halten ihn auf. „Was der Prophet Israels verlangt, ist nicht schwer.“, sagen sie zu ihm, „was hast du denn schon zu verlieren, wenn du tust, was der Prophet sagt?“ So taucht er sich gemäß den Worten Elisas im Jordan unter, und das Wunder geschieht: er wird gesund. Naaman erkennt, dass der Gott Elisas, der Gott Israels, der wahre Gott ist. Ihn betet er von da ab an. Der Prophet Elisa wünscht ihm Frieden, den Schalom Gottes, für seine Wege.
3. Der Segen des Gottes Israels für alle Völker
So werden im Nachhinein das jüdische Mädchen und der jüdische Prophet Elisa zum Segen für den kranken Naaman. Das ist ein Bild dafür, wie auch das „unbedeutende Israel“ – verglichen mit der Stellung und Größe anderer Völker und Nationen in der Welt – durch den Messias zum Segen für die Weltgemeinschaft wurde. Wie der „jüdische“ Gott Naaman heilt, so bringt der jüdische Messias Jesus uns, den Nichtjuden wie den Juden, Rettung. Er heilt uns nicht unbedingt von allen irdischen Krankheiten, aber von der ewigen Krankheit der Sünde und Trennung von Gott. Er hat für uns die eigentliche Krankheit getragen, das Getrenntsein von dem Gott Israels. Durch ihn bekommen wir wieder Verbindung zu dem Gott, der sich Israel offenbarte und bis in alle Ewigkeit mit uns Gemeinschaft haben will.
Der Segen des Gottes Israels gilt allen Völkern – könnte es sein, dass die Völker nun auch einen Auftrag an Israel haben? Interessant ist der Gedanke, weshalb der Aramäer Naaman geheilt wurde. Könnte es nicht sein, dass diese wunderbare Heilung für das Volk Israel eine Chance gewesen wäre, auf das mächtige Wirken Gottes aufmerksam zu werden? Denn wie andere Propheten hatte auch Elisa damit zu kämpfen, dass das Volk nicht auf Gottes Worte hörte. Das spektakuläre Wirken am Feind wäre durchaus geeignet gewesen, das Volk aufzurütteln (5. Mose 32,21).
Der Apostel Paulus sieht die Aufgabe der Völker darin, das Volk Israel zum Nacheifern zu reizen: Wenn Juden sehen, wie persönlich Nichtjuden den Gott Israels kennen, kann dies ein Ansporn sein, sich neu Gott und dem Messias Jesus zuzuwenden. Auch heute noch ist es die Aufgabe der Christen, jüdischen Menschen mit Liebe zu begegnen und ihnen zu erzählen, was es bedeutet, durch den Messias eine persönliche Beziehung mit dem Gott Israels zu haben.
So lasst uns dafür eintreten, dass Israel seinen Gott erkennt und nicht anderen Göttern nachläuft, wie in den Tagen des Elisa.