Was sagt der Talmud über Jesus?

Sowohl von jüdischen als auch von christlichen Autoren ist gelegentlich zu hören bzw. zu lesen, der Talmud, die wichtigste jüdische Kommentierungsreihe der Heiligen Schrift, verspotte Jesus. Manche Ausleger der Bibel behaupten sogar, er werde im Synagogengottesdienst auf das Übelste verhöhnt. Dies führt unter Christen oftmals zur Ablehnung des Judentums, da es als etwas Böses wahrgenommen wird. Und so kommt es, dass auch dem Team der amzi manchmal vorgeworfen wird, sie würden das religiöse Judentum zu positiv darstellen und dessen „Hass auf Jesus“ ignorieren.[0] Bevor ich auf die Fakten eingehe, wollen wir die Entstehung und Bedeutung des Talmud betrachten.

 

Die Ordnung der mündlichen Tora

Was heute im orthodoxen Judentum gilt, wurde weitgehend in der Schule des Gelehrten Hillel 70 n. Chr. in Javne entschieden. Die Römer hatten den Tempel in Jerusalem in Schutt und Asche gelegt, und nun musste überlegt werden, welche Gestalt das Judentum ohne Haus Gottes annehmen konnte. Die Nachkommen der Schule Hillels hatten bis ins 5. Jahrhundert n. Chr. den Vorsitz im Jüdischen Rat, dem Nachfolger des Sanhedrin (Hoher Rat). Hillel selbst kam väterlicherseits aus dem Haus Davids, vom Stamm Juda, und mütterlicherseits aus dem Stamm Benjamin. Sein Ansehen war so hoch, dass es noch heute von ihm heißt: „Als die Tora vom Volke Israel vergessen wurde, kam Esra, der Schreiber, nach Babylon, um sie ihm ins Gedächtnis zurückzurufen. Als sie aber aufs Neue vergessen wurde, war es Hillel, der aus Babylon eintraf, um sie vor dem Vergessen zu retten.“[1]

 

Hillels Schüler, Jochanan ben Sakkai, wurde einer der führenden Köpfe des nachbiblischen Judentums. Er war es, der das gesamte Material der existierenden Tora-Auslegungen sichtete, ordnete und formulierte. Aus dieser mündlichen Tora entstand im 2. Jahrhundert n. Chr. die Mischna (Wiederholungen). Jehuda ha Nasi (135 – 217 n. Chr.) war der letzte Redakteur der Mischna, die abschließend sechs große Ordnungen umfasste, die das ganze Leben des jüdischen Menschen von der Wiege bis zur Bahre sowie das komplette jüdische Haus- und Familienleben regelte.

 

Die Sammlung

Auch die Mischna wurde ausgelegt und kommentiert. Diese Auslegungen (Midraschim) und Erzählungen (Aggadot) bezeichnet man als Gemara (das Vollendete).

Der Talmud (wörtlich Belehrung) ist ein Monumentalwerk, an dem etwa 2.800 Personen über mehrere Jahrhunderte beteiligt waren. In Deutsch umfasst das Werk fast 10.000 Seiten und ist in zwölf Bände aufgeteilt. Der Talmud ist bis zum heutigen Tag weltweit verbindlich für das orthodoxe Judentum. Es gibt zwei Varianten: den Jerusalemer Talmud (Talmud Jeruschalmi, ca. 250-1450 n. Chr.) und den Babylonischen Talmud (Talmud Bawli, ca. 200 -1520 n.  Chr.). Letzterer hat ungefähr den dreifachen Umfang des Jerusalemer Talmuds.

 

Inhalt

Der Talmud besteht aus den Texten der Tora, den dazugehörigen Erklärungen der Mischna, der Gemara und Schriften weiterer Ausleger, etwa den Kommentaren des französischen Rabbiners Schlomo ben Jitzchak (11. Jahrhundert), genannt Raschi, und dessen Schule im babylonischen Talmud. So findet sich auf einer Seite des Talmud jeweils die Stelle aus der Mischna mit der entsprechenden Auslegung aus der Gemara und den dazugehörigen Kommentaren. Dieses umfassende Werk enthält zudem gesetzliche Bestimmungen (Halacha) und erzählerische oder erbauliche Betrachtungen (Haggada).

 

Im Mittelpunkt

Die Rabbiner verstehen sich bis heute als die wahren Nachfolger Moses, der Propheten und der Pharisäer. Der von ihnen ausgelegte Talmud aus Mischna und Gemara ist verbindlich für die Gemeinde. Diese nachbiblische Orthodoxie reicht bis in die Gegenwart hinein. Zusammen mit dem Gebot der Absonderung des jüdischen Volkes gegenüber den anderen Völkern half diese festgelegte Ordnung, die eigene Identität zu bewahren und als Volk durch die folgenden zwei Jahrtausende Diaspora hindurch zu überleben. Gleichzeitig fällt auf, dass sich das theologische Studium des Talmud auf die Tora (fünf Bücher Mose) konzentriert und die anderen Bücher des Tenach weniger Gewicht haben.

 

Was sind nun die Aussagen des Talmud gegen Jesus?

Nachdem wir uns nun einen Überblick über die jüdischen Schriften verschafft haben, wenden wir uns dem gelegentlichen Argument von christlicher Seite zu, der Talmud richte sich gegen die Person Jesu. Denn wie bereits erwähnt, berufen sich auch Vertreter der jüdischen Seite in ihrer Ablehnung des messianischen Anspruchs der Person Jesu von Nazareth auf den Talmud.

Innerhalb des Talmud gibt es vier ver­schiedene Hauptstellen, die von einem Jesus sprechen.[2] Alle Stellen sind in der Fußnote aufgelistet und werden im Ergebnis zusammengefasst.

So wird behauptet: Ben Stada und Ben Pandira sind Yehoschua (Jesus) und damit war Christus gemeint. Doch wer war dieser Jesus im Talmud wirklich? 

In den Passagen in Sabbath 104 b, Sanhedrin 67a heißt es: „Rabbi Eliezer sprach zu den Weisen: Der Sohn Satedas[3] brachte ja Zauberkünste aus Mitzraim durch Ritzungen auf seinem Leibe!? Sie erwiderten ihm: Dieser war ein Narr und von Narren ist kein Beweis zu erbringen.“ – ‘Sohn Satedas’, er war ja der Sohn Panderas!? Rabbi Hisda erwiderte: Der Ehemann (seiner Mutter hieß) Sateda, ihr Liebhaber hieß Pandera. – Ihr Ehemann war ja Papos ben Jehuda!? – Seine Mutter hieß Sateda. – Seine Mutter war ja Mirjam, die Frauenhaarflech­terin!? – Wie sie es in Pumbeditha erklärten: (Satath-da) Sie verließ ihren Ehemann, weil diese war ihrem Manne untreu.“[4]

Wir halten fest: Ein Mann, (Ben = Sohn von) Ben Stada brachte Zauberkünste aus Ägypten mit. Seine Mutter hieß Mirjam (Maria) und wurde ebenso Stada genannt. Sein Vater (Mirjams Ehemann) wurde Papos ben Jehuda. Mirjam, die Mutter Ben Stadas, hatte aber eine Affäre mit Pandira und verließ ihren Ehemann. Von Beruf war sie Haarflechterin.

Die klassische Kommentierung: Ben Stada bzw. Ben Pandira war Jesus. Seine Mutter hieß Mirjam (Maria). Die hebräische Bezeichnung ihres Berufes Haarflechterin „megadla nashaja“ erinnert an Maria Magdalena. Daher kommen manche zum Ergebnis: Jesus ist in Wahrheit entweder der Sohn Maria Magdalenas, oder, wenn von der „echten Maria“, der Sohn von Pandira, der wiederum ein römischer Soldat war.[5]

Hier sind die Grundlagen für folgende sich bis heute haltende Behauptung: Durch Jesus kam okkulte Zauberei nach Israel, und er entstammt aus der Hurerei Marias mit einem römischen Soldaten.

Seit dem 8. Jhd. existiert die „Toledot Jeschu“(Geschichte Jesu)  in aramäischer Sprache, die bis heute so weitergegeben wird. Durch den Orientalisten Johann Christoph Wagenseil (1633-1705) wurde diese Schrift im deutschen Sprachraum bekannt und führte immer wieder zu grauenhaften Pogromen gegenüber den Juden.  Der Name „Jeshu“ wurde daher innerhalb des orthodoxen Judentums zu einem Fluchwort. Es ist ein Akronym und beinhaltet: „Sein Name und sein Gedenken soll ausgelöscht sein“.  

Folgende wesentliche Punkte gilt es nun festzuhalten (neben zahlreichen anderen, die jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen würden):

  1. Der Name Jeschua Jehoschua (Jesus) ist ein geläufiger Name im Talmud.
  2. Die Zeitperiode der Passagen, in denen Jesus erwähnt wird, ist diejenige von Johanan Hyrkanos, der im Jahr 104 v. Chr. starb, so dass der „Jesus im Talmud“ eine andere Person sein muss.
  3. Deckungsgleich bei beiden Personen ist lediglich die Rückkehr aus Ägypten in die Das Ägypten von damals stand gemeinhin für Zuflucht, Sicherheit sowie Lohn und Brot. Daher ist das kein Argument für den biblischen Jesus Christus.
  4. Der Jesus im Talmud stand, anders als der biblische Jesus, der Regierung sehr nah.
  5. Die Angaben des Talmud hinsichtlich des Todesurteils Jesu (wegen Götzendienst) stehen im Widerspruch zum neutestamentlichen Zeugnis, das Jesus als unschuldig beschreibt.
  6. Jesus von Nazareth wurde gekreuzigt. Diese Hinrichtungsart wurde erst 63 v. Chr. von den römischen Eroberern in Israel eingeführt. Der Jesus des Talmud wurde gesteinigt und dann erst aufgehängt.
  7. Der talmudische Jesus hatte 5 Jünger, die nacheinander zum Tode verurteilt wurden. Der biblische Jesus hatte 12 Jünger. Ihr Schicksal wird in dem Buch „Von Eden bis zum Paradies“ (S. Drori/J. Schulz, amzi) dokumentiert.

 

Wir halten fest: Alle Angriffe des Talmud gegen den Jesus des Neuen Testaments sind haltlos. Der Talmud spricht von einer anderen Person gleichen Namens. Daher sind ebenso alle Vorwürfe seitens der Juden bzw. Christen gegen das Judentum bzw. gegen den biblischen Jesus mithilfe des Talmud grund- und gegenstandslos.

 

[0] Anmerkung der Redaktion: Jurek Schulz schreibt hier als Mitarbeiter von amzi. Die gemeinsame Suche nach der Wahrheit sollte im Vordergrund stehen. Es ist schon schmerzlich, wenn ein Eindruck einer Verurteilung entsteht. Jeder Mensch sollte seine Position darstellen können, die ja auch nur seine bisherigen Erkenntnisse der Wahrheit wiedergibt. Forschen und daraus einen Gewinn für sein Leben mit dem Schöpfer zu erzielen, wäre ein gutes Ergebnis.

[1] „Die Weisheit des Talmud“, Elie Wiesel, S. 19.

[2] Talmud Shabbat 104b, Sanhedrin 43a; 67a, 107b, Sotah 47a, Tosefta Chullin 2:23.

[3] Oder ‚Sotada‘, so nach der weiter folgenden Deutung, wahrscheinlich aber ‚Stada‘ oder ‚Setada‘ auszusprechen.

[4] Der Babylonische Talmud, Band 1, S. 748.

[5] Sanhedrin 107b, Sota 47a.