Die Frohe Botschaft – auch für Juden?
Anlässlich des kommenden Kirchentages in Hamburg 2013 ist die Frage des Umgangs mit den jüdisch-messianischen Gruppen neu entbrannt.
Das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages hatte nach einer Anfrage über die Teilnahme messianisch-jüdischer Gruppen am 14.Mai 2012 (Tag der Staatsgründung Israel) unmissverständlich in einem Antwortschreiben deutlich gemacht, das Christen, welche judenmissionarische Aktivitäten auf dem Markt der Möglichkeiten verfolgen, nicht zugelassen werden können. Damit bestätigen und erneuern sie einen vorrangegangenen Beschluss von 1999. Das beinhaltet die Nichtzulassung der messianischen Werke, die sich der Bezeugung des Evangeliums verpflichtet sehen.
In der Begründung wird ein kirchengeschichtliches Verständnis deutlich wie es auch für die Synagoge vorhanden ist. Wer an Jeschua als Messias glaubt ist kein Jude mehr. Seit den frühen Tagen der Kirche ist dieses Verständnis vorhanden. Durch den Glauben wird ein radikaler Religionswechsel vorgenommen. Die Person geht der ursprünglichen Religion verloren. Es ist richtig und verständlich, dass ein Konsens zwischen Juden und Christen gefunden werden muss, denn keiner will, dass jemand seiner Religion verloren geht. Daher ist an Stelle der Mission der Dialog getreten. Doch stimmt es wirklich, dass ein Jude, der an Jeschua glaubt, aufhört ein Jude zu sein?
Ich wäre bereit mich diesem Verständnis anzuschließen, wenn die jüngere Kirchengeschichte es bestätigen würde. Doch das ist für mich nicht erkennbar.
Vor mir liegt der Beschluss des Kieler Kirchenamtes vom 10. Februar 1942. Dort wird in einer Anweisung der Ausschluss der „nichtarischen Christen“ beschlossen. Die deutsche Volkskirche muss im wörtlichen Sinne eine Volkskirche sein und muss als „Körperschaft des öffentlichen Rechtes“ die „nichtarischen Christen“ in den Gemeinden ausschließen. Die Umsetzung geschah systematisch in der gesamten Deutschen Reichskirche und auch in der Freikirche. Im Raum der Kirchen wurden ca. 160.700 „Christen nichtarischer Herkunft“ ausgeschlossen, so der Forscher A. Vuletic.1 Der Historiker E. Klee spricht von ca. 200 Pastoren jüdischer Abstammung, 2 die ebenfalls aus dem kirchlichen Dienst rausgeschmissen wurden. Ein Grossteil der Betroffenen kamen später in den KZs ums Leben.
70 Jahre nach dem Verbrechen an „Christen nichtarischer Herkunft“ täte die Kirche jedoch gut daran, die erneute Anwesenheit „jüdischer Jesusgläubiger“ in der Gemeinde Jesu zu begrüßen und zu würdigen, denn sie gehören so oder so zum Leib Christi. Es ist Gott selbst, der seine Gemeinde baut. Doch stattdessen tritt das genaue Gegenteil ein. Nicht nur auf dem evangelischen, katholischen oder ökumenischen Kirchentag, sondern auch in christlichen Ortsgemeinden erleben messianische Gruppen ihre Ausgrenzung, wie es in Hamburg, Osnabrück, u.s.w. erst kürzlich geschah.
1 Christen jüdischer Herkunft im Dritten Reich, Aleksandar-Sasa Vuletic, Hrsg. Institut f. Europäische Geschichte Mainz, 1999
2 Ernst Klee, Die SA Jesu Christi. Die Kirche im Banne Hitlers, Fischer – Verlag Frankfurt: 1989.
Heute sind es andere Beweggründe der Nichtanerkennung der „Christen jüdischer Herkunft“. Doch das Resultat ist das gleiche: Die Ausgrenzung von Juden, die an Jeschua glauben, bleibt.
1. Begründung der Ablehnung der Mission
In einem Synodalbeschluss der rheinischen Kirche heißt es unter anderem: „ Wir glauben, das Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen Gottes vor der Welt und voreinander sind; darum sind wir überzeugt, dass die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen kann“.3 Die Heidenchristen haben zu „schweigen“ und nur das „Zeugnis unseres Lebens“ sollen sie „reden“ lassen.4
2. Begründung für das Zeugnis
Dagegen hat die Konferenz Bekennender Gemeinschaften mit der Erklärung „Mission an Israel – auch heute“ protestiert. Eine grundsätzliche Ablehnung der Judenmission ist als theologische Verwirrung entgegen zu treten. Vielmehr laden wir alle Christen dazu ein, jeden Dienst zu unterstützen, der in recht verstandener Mission an jüdischen Menschen geschieht.5
Eckhard Schnabel fragt zu recht bei dieser kontroversen Diskussion: Wie ist das Verständnis von Mission an Juden zu verstehen? Sollen sie zu Mitgliedern einer bestimmten Kirche oder Konfession werden?6 So schreibt E. Lubahn (…) das bekehrte Juden nicht in eine „heidenchristliche Kirche“ integriert oder „an irgendein Christentum“ assimiliert werden sollen.7 Die Konsequenz wäre, dass, wenn Mission geschieht, Juden dann nicht in eine Kirche, sondern in separate Gemeinden integriert werden.
3. Jesu Zeugnis unter Juden im Neuen Testament
Jesus hat unter seinen jüdischen Zeitgenossen gepredigt und geheilt. Seinen Jüngern gab er den Auftrag zum Verkündigungsdienst und sandte sie aus, „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels“ (Mt 10,6). Nach Pessach (Ostern) gab er den 12 den Auftrag, von Jerusalem ausgehend in Judäa, Samarien und bis an das Ende der Erde Zeugnis abzulegen (Mt 28,19; Apg 1,8).
Lukas schildert uns wie dieser Auftrag umgesetzt wurde. In Apg 2-7 wird die Mission in Jerusalem beschrieben. Dann die Arbeit in Judäa und Samarien (Apg 8-9).
3 Abgedruckt in Kremers & Lubahn 1985, 123-26, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1524
4 Heinz Kremers, „Mission an Israel in heilsgeschichtlicher Sicht“, in Kremers & Lubahn 1985, 65-91, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
5 Teil 9 formuliert ein „Wort an die Kirchen, Gemeinden und Missionen: Mission unter Israel auch heute“. Abgedruckt in: Kremers & Lubahn 1985, 126-28, zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
6 Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
7 E. Lubahn, Judenmission in heilsgeschichtlicher Sicht, in Kremers & Lubahn 1985, 92-103; zitiert in Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 1525
Paulus verstand sich als „Apostel der Heiden“ (Rö 11,13), ohne jedoch immer zuerst zu den Juden zu gehen (Rö 1,16; Apg 9,15).
Daher waren die ersten jüdisch-messianischen Gemeinden in Jerusalem, in Damaskus, in Antiochien, etc. Die Apostelgeschichte schildert nicht den Übergang von der Judenmission auf die Heidenmission, sondern wie die Judenmission in Israel sich auch außerhalb Israel in den anderen Ländern durch die „Judenchristen“ vollzog, bis hin in Rom, wo Paulus in seiner Evangelisationsrede die Juden als Adressaten hatte (Apg 28,24).
Es ist oft falsch geschildert, dass nur „einige“ überzeugt wurden, Apg 28,24, sondern es gab neben einer reihenweise positiven Reaktion vieler einzelner Juden,8 auch Massenhinwendungen zu Jesus.9
Nach neutestamentlicher Sicht wird durch Gottes anhaltendem Bund mit Israel die Evangeliumsverkündigung unter Juden nicht überflüssig, sondern geboten. Es blieb, schreibt Eckard Schnabel und zitiert dabei Jacob Jervell, der Entschluss Gottes: das Heil kommt zu dem Gottesvolk, (den Juden).10
Auf der gleichen theologischen Linie ist die Verlautbarung der LCJE11 (Lausanner Bewegung für Evangelisation unter Juden).
4. Wir schämen uns des Evangeliums nicht
Hierzu erklären wir:
Wir schämen uns der Gräueltaten der Kirche (als Gesamtgemeinde Jesu) gegenüber dem jüdischen Volk und der Anleitung zu dessen Verachtung durch die Kirchengeschichte hindurch und prangern beides an. Wir geloben, die Erinnerung an die Missetaten der Kirche gegen Juden aufrecht zu erhalten. Nur mit dieser Erinnerung können Christen ein neues Herz für das jüdische Volk entwickeln.
Eine neue Vision
In unserem Zeitalter der Globalisierung muss die Kirche eine neue Vision für die Rettung des jüdischen Volkes und aller anderen Völker der Erde gewinnen. Wenn heute Juden zusammen mit den anderen Völkern ihren Glauben an Jesus als ihren Retter bekennen, ist es ein Zeichen der Hoffnung für die Kirche und für die Welt.
Deshalb erklären wir des Weiteren:
Wir schämen uns des Evangeliums nicht. Deshalb verpflichten wir uns, an einer Vision für die Kirche als Leib Jesu festzuhalten, die bejaht, dass wir, Juden und Nichtjuden, in Christus eins sind.
8 Apg 11,19; 13,43; 14,1-2; 16,1; 17,1-4.10-11; 18,4; 19,10; 20,21; 28,24
9 Apg 2,41.47; 4,4; 5,14; 6,1.7; 9,42; 12,24; 13,43; 14,1; 17,11-12; 21,20
10 Eckhard J. Schnabel Urchristliche Mission, TVG Wuppertal 2002, S. 424
11 Das Evangelium – auch für Juden, Gedankenanstoß aus der messianischen Bewegung, Brunnen-Verlag, 2006
In diesem Zusammenhang sind die 13 messianisch-jüdischen Glaubensartikel12 die am 29. März 1998 von rund 100 messianischen Juden aus ganz Deutschland verfasst wurden, interessant. Es wird deutlich, das Heil kommt nicht nur von den Juden, sondern kommt auch zu ihnen zurück.
U.a. heisst es da:
1. Wir glauben, dass die Bibel von Gott inspiriert ist.
2. Wir glauben, dass Gott Einer ist und sich den Menschen als Vater, Sohn (Messias Jeschua) und Heiliger Geist offenbart.
3. Wir glauben, dass Jeschua der verheißene Messias Israels ist,
8. Wir glauben, (…) dass Juden, die an Jesus glauben, weiterhin zu Israel, dem auserwählten Volk Gottes gehören.
9. Wir glauben, dass an Jeschua gläubige Juden als Glieder des Volkes Israel und der geistlichen Familie der Kinder Gottes ihrem biblisch-jüdischen Erbe verpflichtet sind.
11. Wir glauben, dass messianisches Judentum heute die Fortsetzung des biblischen, rechtmäßigen Judentums ist.
13. Wir glauben, dass unsere biblische Verpflichtung darin besteht, die Wahrheit von Jeschua allen Menschen zu bringen, den Juden zuerst.
Vieles ist identisch mit den Glaubensgrundlagen der „jüdischen evangelischen Allianz“, die vor dem Krieg tätig war. Daher war es ein Verrat heute und ein Verbrechen damals, Juden, die an Jesus gläubig sind, aus den Kirchen auszuschließen.
Jesus ist weder ein Jude ohne Bedeutung, noch ist er für Juden ohne Bedeutung. Jesus ist entweder der Messias für alle, oder er ist überhaupt nicht der Messias.
5. Einheit ohne Bekenntnis?
Der jüdische Gelehrte Arthur A. Cohen, der kein Verfechter der christlichen Mission unter Juden war, sagte folgendes: 13
„Ich kann mich nicht guten Gewissens gegen missionarische Aktivitäten unter Juden stellen, und ich billige das missionarische Zeugnis unter Christen.
Aber wenn Missionieren bedeutet, Zeugnis abzulegen, nicht von sich selbst, sondern von der Wahrheit, und wenn der Missionar dem Missionierten im Gespräch in Wahrheit gegenübertritt, dann ist es gerechtfertigt.“
Beachtenswert ist es was der jüdische Gelehrte J.D. Levenson schreibt: Die am christlich-jüdischen Dialog beteiligten (…) haben vergessen (…), Christen glauben: „Jesus ist Gott“.14
12 http://www.evangeliumsdienst.de/_2011/phocadownload/kirche_fuer_israel_2012.pdf
13 Arthur A. Cohen: The Myth of the Judeo-Christian Tradition, New York, Schocken Books, 1971, S. 216-217.
14 John D. Levenson: How Not to Conduct Jewish-Christian Dialogue, S. 33.35.37. zitirt in Das Evangelium – auch für Juden, S. 65
Ein letztes Wort von C.S. Lewis: „In gewisser Weise ist der bekehrte Jude der einzig normale Mensch auf der Welt. Ihm wurden die Verheißungen gegeben und er hat Gebrauch davon gemacht!“.
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© Dieser Text ist Teil des Hintergrundmaterials zum Vortrag des Referenten Jurek Schulz für den 5. Abend, 6.5.21 des CIND e.V. Israel Seminars